DHB: Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt

DHB-Vorstand Martin Goepfert im exklusiven Interview im neuen HSG SIEBENER

Das Jahrzehnt des Handballs ist in vollem Gange und mit der Herren-Europameisterschaft nimmt es so richtig Fahrt auf. Für den Deutschen Handballbund bedeutet dies einmalige Chancen, den Handball in Deutschland wieder so richtig groß zu machen. Im exklusiven Gespräch mit dem HSG SIEBENER nennt DHB-Vorstandsmitglied Martin Goepfert die großen Chancen und Herausforderungen. Das vollständige Interview erscheint im gedruckten Saisonmagazin HSG SIEBENER 2023/2024.

Der Deutsche Handballbund spricht vom “Jahrzehnt des Handballs” mit einigen Großereignissen unserer Sportart. Was bedeutet das für Dich als Vorstandsmitglied des DHB konkret?

Grundsätzlich sprechen wir vom Jahrzehnt des Handballs, weil wir eine besonders hohe Dichte an Turnieren in Deutschland haben und ausrichten dürfen. Das hat im Jahr 2023 mit der U21-WM bereits begonnen. Jetzt folgt die Handball-EM der Männer im Januar 2024, dann die Frauen-WM im darauf folgenden Jahr 2025 und die Männer-WM in 2027. Wir wissen aus der Vergangenheit, welche Mehrwerte wir haben, wenn wir solche Turniere ausrichten. Diese Anzahl an aufeinander folgenden Turnieren in Deutschland hat es noch nie gegeben. Das ist für uns, für den Verband, für die Sportart, eine riesige Chance. Insbesondere mit Sicht auf die Mitgliederbewegung – und hoffentlich auch mit Blick auf die sportliche Entwicklung.

Was sind die großen Ziele und Bestrebungen des DHB im Jahrzehnt des Handballs?

Ganz grundsätzlich ist alles in unserer Verband-Strategie „Perspektive 2030“ festgehalten. Dort haben wir für den Gesamtverband sportliche Ziele definiert. Darüber hinaus gibt es Ziele im Bereich Marketing und Kommunikation, um mehr Fans zu gewinnen und den Anteil der Gespräche über Handball in der breiten Öffentlichkeit zu erhöhen. In Bezug auf Mitgliederentwicklung sind ganz konkret zwei Ziele definiert. Das eine ist die Mitgliederbindung. Das bedeutet, dass unsere Maßnahmen darauf abzielen, dass Personen, die im Verein bereits Mitglied sind, dies auch möglichst lange bleiben und sich neben der sportlichen Aktivität noch anderweitig engagieren. Das zweite Ziel ist die Mitgliedergewinnung. Hier geht es darum, mehr Kinder in die Handballvereine zu bekommen.

Die Kinder und Jugendlichen stehen also ganz im Mittelpunkt des Jahrzehnt des Handballs?

Ja – wenn man davon absieht, dass wir natürlich grundsätzlich mit den Nationalmannschaften erfolgreich sein wollen. Wenn wir uns die Mitgliederentwicklung anschauen, dann sehen wir, dass Kinder in der Regel das erste Mal im Alter von ungefähr sieben Jahren sich dazu entscheiden, in den Sportverein zu gehen. Deswegen sind Kinder, insbesondere Grundschulkinder, bei der Mitgliedergewinnung unsere Kernzielgruppe. In der Grundschule treffen die Kinder erstmals die Entscheidung, eine Sportart anzufangen. Damit ist auch der Kindernachwuchsbereich der einzige Bereich, wo wir überhaupt wachsen können. Denn im Erwachsenenbereich gewinnen wir in der Regel keine Mitglieder mehr und im Jugendbereich ist es sehr schwierig. Wenn wir aber früh möglichst viele Kinder gewinnen, bleiben auch relativ viele Jugendliche noch “am Ball” und der Handball in Deutschland insgesamt als Sportart im Wachstum.

Was für Maßnahmen siehst Du, um die Kinder in die Hallen zu locken? Wird es ähnliche Angebote wie die Schülertickets bei der U21-WM im Sommer geben?

Wir können das Konzept der U21-WM nicht auf die Europameisterschaft übertragen. Bei der U21-WM haben wir an den Spielstätten Berlin, Magdeburg und Hannover 30.000 Schulkinder eingeladen. Im Rahmen der Europameisterschaft 2024 ist das in dem Umfang nicht lösbar, weil wir, um solch ein Turnier umsetzen zu können, Ticketeinnahmen generieren müssen. So eine U21-Weltmeisterschaft kostet ungefähr eine Million Euro in der Umsetzung. Und die müssen wir beispielsweise mit dem Gewinn, den wir hoffentlich bei der Herren-Europameisterschaft erwirtschaften, ausgleichen. Die Frauen-WM 2027 steht auch an. In der Vergangenheit waren die Frauenturniere ein Verlustgeschäft für den Verband, das muss man aus wirtschaftlicher Sicht leider so klar sagen. Also müssen wir mit den Herren-Turnieren, wenn man so will, so viel Geld erwirtschaften, dass wir uns überhaupt leisten können, so zeitnah und so umfassend und begeisternd für alle Fans auch eine Frauen-Weltmeisterschaft auszurichten in Deutschland.

Wie werden die Vereine der Region in der Vorbereitung auf die Heim-EM einbezogen?

Da gibt es viel, weil wir immer mit unseren Mitgliedern über die Landesverbände zusammenarbeiten. Die haben beispielsweise die Möglichkeit, die Europameisterschaft für eigene Maßnahmen zu nutzen. Wir setzen explizit am Standort Köln zum Beispiel eine Kooperation um, wo wir eine Mini-Europameisterschaft unterstützen. Das ist ein E-Jugend-Turnier im Rahmen der EURO. Das haben wir bei der U21-WM erstmals mit 16.000 Kindern bundesweit erfolgreich durchgeführt. Unser Event, die EURO, kann eben genutzt werden, um in den Vereinen so viel wie möglich umzusetzen. Etwa, zum Public Viewing einzuladen oder Events rund um die Europameisterschaft zu gestalten, so wie die Mini-Turniere.

Wir stellen uns mal vor, es ist das Jahr 2030. Das Jahrzehnt des Handballs ist beendet, das letzte Großturnier war die WM der Männer 2027. Worauf wirst du am liebsten zurückblicken wollen?

Ich glaube für unseren Verband würde ich mir wünschen, dass wir in diesen zehn Jahren insbesondere mit der Frauen-Handballnationalmannschaft erfolgreich sind. Zehn Jahre ist eine lange Zeit, aber um eine strukturelle Entwicklung mit einem Leistungssportkonzept hinzulegen, braucht man diese auch. Ich glaube, dass es unserer Sportart gut tut und unserem Anspruch, gesellschaftlich relevant zu sein, gerechter wird. Das schaffen wir nicht, wenn wir nur über die Männer-Nationalmannschaft erfolgreich sind. Andersherum ist es auch kein Selbstläufer: Man kann nicht einfach einfordern, dass wir alle gleich behandeln müssen, wenn sich dies nicht zumindest im A-Bereich widerspiegelt.
Das zweite Thema, worauf ich hoffentlich gerne zurückblicken werde, ist das Thema Integration. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund im Handball liegt bei sieben Prozent. Wir können uns nicht anmaßen, eine gesellschaftliche Relevanz zu haben, obwohl wir das in den eigenen Strukturen gar nicht spüren. Wir sind in diesem Bereich sehr aktiv, konzipieren Maßnahmen und helfen den Vereinen, Barrieren abzubauen. Zum Beispiel könnte man die Vereinswebsite auch in englischer, ukrainischer oder türkischer Sprache verfassen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir konkret Eltern erreichen, die kein Deutsch sprechen. Fußball kennen sie in der Regel, Handball noch nicht.

Zur Person: Martin Goepfert

Martin Goepfert ist seit zwei Jahren als Vorstandsmitglied des DHB für den Bereich Mitgliederentwicklung verantwortlich. Er arbeitet seit 2014 für den Verband und war zuvor Verbandsassistent und Leiter des Büros des Vorstandsvorsitzenden. Berufsbegleitend absolvierte der 34-Jährige nach dem Bachelorstudium Sportmanagement einen Masterabschluss im Sportrecht. Handballer ist Martin Goepfert allerdings nicht – seit 25 Jahren ist er Mitglied im Lüner SV Turnen e.V. Dort engagiert er sich ehrenamtlich als 1. Vorsitzender.

Martin Goepfert; 33. DHB-Bundestag 03.10.2021 in Düsseldorf. Foto: Kenny Beele

Foto: Deutscher Handballbund
Interview: Fenja Horstmann für den HSG SIEBENER 2023/2024